Was der Buzzcut bzw. meine neue Frisur mit Kriminalität zu tun hat. Teil 1.
- Kristina (Kriminologin)
- 30. Dez. 2023
- 3 Min. Lesezeit
Es ist NICHT, was du denkst. Und ich muss dafür etwas ausholen:
In der Kriminologie arbeiten wir unter anderem mit dem labeling Ansatz. Dieser geht weniger der Frage nach, wieso Menschen kriminell werden, sondern beschäftigt sich vielmehr mit "Kriminalität als Zuschreibungsprozess". Dies umfasst verschiedene Überlegungen:
Welche Verhaltensweise definieren wir überhaupt als abweichend und stellen diese unter Strafe (=kriminell)?
Wir denken häufig "ist ja klar, was Kriminalität ist". Nein. Wir hatten eine Zeit in der deutschen Rechtsgeschichte, in der Homosexualität von Männern als kriminell gesehen wurde und haben mittlerweile definiert, dass dies nicht mehr so sein soll. Wir haben aktuell Catcalling als nicht kriminell definiert - und überlegen es zu ändern. Es liegt immer eine gesellschaftliche Etikettierung eines Akts als böse dahinter.
Wieso werden bestimmte Verhaltensweisen (nicht) unter Strafe gestellt und wer bestimmt dies?
Abweichendes Verhalten wird durch die Normsetzer definiert. Das sind gewissermaße "die Mächtigen". Recht und die Rechtsprechung sind ein Herrschaftsinstrument. Ja, Politiker:innen sind gewählt, aber was sie nach der Wahl bestimmen ist nicht immer konform mit den ursprünglichen Wahlmotivationen von Bürger:innen. Politiker:innen sind in der Regel aus einer bestimmten "Schicht", haben bestimmte sozio-demographische und ökonomische Merkmale und Verflechtungen. Sie haben eigene Interessen und andere Menschen mit erheblicher Macht (durch Status und Geld) bestimmen Entscheidungen ganz anders, als Menschen ohne Status, Geld oder Lobby.
Bei welchen Menschen werden welche Gesetze wie 'stark' angewandt?
Ein hübsches, weißes Mädchen und ein dunkelhäutiger Mann mit Rastas werden jew. erwischt, als sie versuchen eine Packung Zigaretten zu klauen. Bei wem ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass eine Strafverfolgung eingeleitet wird (obwohl die Polizei bei beiden verpflichtet wäre) und wer wird ab Betreten des Ladens akribischer überwacht? Die Normanwendung erfolgt selektiv (situations- und personenspezifisch)und Selektionskriterien sind häufig durch Macht bestimmt. Die Definition als Kriminelle:r wird nur wirksam, wenn die Strafgesetze auf die Person angewendet werden.
[Vieles hier klingt in der Kürze mehr nach Verschwörungstheorie als ich es meine, aber lest gerne das Buch von Ronen Steinke, das ich nicht oft genug empfehlen kann.]
Etikettierung des Akts führt zu einer Etikettierung des Akteurs als Böse.
Wir trennen häufig nicht Täter:in und Tat, sondern letztere wird eine Art Identität und Zuschreibung für die gesamte Person. Die gesamte Person ist plötzlich schlecht. Gerade bei sehr schweren Taten ist diese Zuschreibung emotional nachvollziehbar. Für den Großteil des tatsächlichen Kriminalitätsgeschehens ist es jedoch eines der häufigsten und schädlichsten Narrative. Jemand sitzt wegen Schwarzfahren eine Ersatzfreiheitsstrafe? => Die Person war in Haft "also wird da schon was dran sein". Diese ganzheitliche Etikettierung des Menschen als 'kriminell' wirkt von sozialen Ebenen bis hin zu Wohnung und Job.
Aus all diesen Aspekten heraus rührt nun auch der zentralste Punkt der labeling Ansätze: Eine Person wird kriminell, weil sie als solche gelabelt wird. Dabei kann unterschieden werden in zwei Ansätze:
A) Die Etikettierung als 'abweichend' führt zu einer Reduktion der konformen Handlungsmöglichkeiten, oder jedenfalls zu keinen höheren 'Kosten' bei abweichendem Verhalten, was abweichende Karrieren initiiert.
B) Oder: eine Person begeht aus einem anderen Grund heraus eine Straftat, woraufhin sich das Label als Straftäter:in ergibt und sich konforme Handlungsmöglichkeiten reduzieren.
Letztendlich steht immer der Gedankenprozess "ich hab eh das label 'Kriminelle:r', die Gesellschaft gibt mir keine Chancen mehr, also kann ich mich auch gleich so verhalten". Wieso soll ich mich für meinen Schulabschluss ohne Ende anstrengen, wenn mir meine Lehrerin aufgrund des 'offensichtlichen' Migrationshintergrundes Chancen auf einen guten Beruf oder gar den Abschluss abspricht und mich sogar als 'Knacki' bezeichnet? (wahres Beispiel). Wenn alle denken, ich würde bestimmt Drogen dealen und mich verachten, wieso sollte ich es dann nicht einfach tun, schließlich habe ich keinen Ruf zu verlieren und es bringt mir kurzfristig mehr Kohle bei weniger Aufwand als ewig für den Schulabschluss zu büffeln.
Vielleicht könnt ihr euch jetzt schon vorstellen, was das mit meinem Buzzcut zu tun hat. Ihr habt jetzt in Grundzügen jedenfalls eine Kriminalisierungstheorie kennengelernt und ich werde den Text bis nächste Woche schreiben, sonst wird das hier alles viel zu lange (:
Text vom 01.09.2023
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