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Gefängnis: Chancen und Herausforderungen von Exkursionen

Autorenbild: Kristina (Kriminologin)Kristina (Kriminologin)

Gefängnisse sind Orte, über die die meisten Menschen keinerlei Vorstellung haben und wenn doch einen sehr verzerrten Blick durch Filme und Dokus, die durch das Gefängnissystem anderer Länder geprägt oder gar rein fiktiv sind. 


Gefängnisse sind Orte, die nach Rachegelüsten mancher Menschen nicht schlimm genug ausgestaltet sein können. Menschen, denen die Vorstellungskraft fehlt wie schlimm es ist, kaum mehr Freiheiten zu haben und komplett fremdgesteuert zu sein. Menschen, die dies zwar nach meinem Eindruck während der Ausgangsbeschränkungen (Corona) gespürt und auch gewütet haben, dies aber lange wieder verdrängt haben.


Gefängnisse sind Orte, die für viele Menschen für kurze oder lange Zeit das neue "Zuhause" sind.


Und Gefängnisse sind Orte, die für mache Menschen einen Arbeitsplatz darstellen.


Informationen über und Einblicke in das Gefängnissystem zu vermitteln, Verständnis für die Problematiken zu schaffen und "diese Welt" nicht als etwas zu sehen, was mit unserer Gesellschaft nichts zu tun hätte, finde ich wichtig. Die Frage ist nur, wie man das hinbekommt, denn Exkursionen sind auf vielen Ebenen sehr problematisch zu sehen.


Einerseits... ermöglicht eine Exkursion ins Gefängnis es den Teilnehmenden, ein tieferes Verständnis für die Realitäten des Strafvollzugs zu entwickeln. Sie können die Haftumgebung und Haftbedingungen sehen und (sehr eingeschränkt!!) spüren. Die Teilnehmenden sind aber max. 1 Minute IN einer Zelle und max. 2 Stunden in einer Anstalt. 2 Stunden, in denen sie viel Abwechslung und Infos geboten bekommen und durch die Bediensteten sämtliche Bewegungsfreiheit haben. Zu denken, man könnte nach einer Exkursion auch nur ansatzweise nachvollziehen, wie beschränkend und beklemmend es ist, über Monate oder Jahre eingesperrt zu sein und die Perspektivlosigkeit der Gefangenen nachvollziehen, ist lächerlich. Während der zwei Stunden im Gefängnis verliert man außerdem weder seinen Job, noch seine Wohnung oder sozialen Kontakte, wird gesellschaftlich nicht (langfristig) stigmatisiert und hat keine Probleme mit anderen Gefangenen. Menschen, die sehr unreflektiert an so einen Gefängnisbesuch herangehen und diesen vor allem aus voyeuristischen Motiven planen, werden ein komplett falsches Bild vom Strafvollzug erhalten und möglicherweise noch in ihrer Weltsicht bestätigt, es sei ja gar nicht so schlimm.


Einerseits... sind die eben angesprochenen, reflektierten Eindrücke aus einer Haftanstalt ein wichtiger Baustein für Studierende nicht nur in der Systemkritik & Forschung, sondern bei ihrer Berufswahl bzw. der Frage, ob man es "aushält" in dieser Umgebung und diesem Klima zu arbeiten und ob man Teil des Systems werden will. Das kann man nirgendwo so gut spüren wie bei einem tatsächlichen Aufenthalt hinter den Mauern. Andererseits kann man natürlich auch argumentieren, dass man auch bei jedem anderen Arbeitgeber nicht weiß, worauf man sich einlässt...


Einerseits... enthält jede Exkursion neben einer Begehung der Haftanstalt auch einen ausführlichen Informationsteil über Zahlen, Fakten und Theorien des Strafvollzugs - und einen mehr oder weniger kritischen Blick der Bediensteten auf die Herausforderungen bzw. Versäumnisse des Systems. Dies ist zweifelsohne wichtiges Wissen und sind wichtige Perspektiven - könnte man aber ehrlicherweise auch in einem Setting außerhalb der Mauern vermitteln. Zudem habe ich bisher nur wenige systemkritische Bedienstete erlebt. In einer JVA haben wir (ich) am Ende noch ziemlich kritisch über das System diskutiert und ich hätte mich wahnsinnig über die Innenperspektive der Praktiker (m) gefreut. Doch stattdessen kamen die ollen Lamellen, die mir auch jede uninformierte Person an den Kopf wirft (wörtliche Zitate: "ja aber wir müssen unsere Kinder und Frauen schützen!!" (IHR WISST DOCH SELBST VIEL BESSER, DASS DIE AUSSAGE AUF NUR 10% EURER GEFANGENEN ZUTRIFFT!!!) / "würdest du auch so denken, wenn du das Opfer gewesen wärst" (JA!!!!!!)). Das hat mich extrem enttäuscht und doch gleichzeitig mein sehr negatives Bild vom Vollzug und ehrlicherweise auch den Bediensteten bestärkt...


Ein Hauptkritikpunkt an Exkursionen ins Gefängnis bezieht sich auf ethische Bedenken, z.B. dass solche Besuche die Privatsphäre der Häftlinge verletzen und sie wie Zootiere zur Schau stellen. Dem ist nichts rationales entgegenzusetzen und muss ich leider zu 99% unterschreiben. Kaum eine Anstalt hat sich bisher um die Privatsphäre ihrer Gefangenen gekümmert und uns teilw. sogar IN bewohnte Zellen eintreten lassen... Von einer JVA habe ich letztens ja positiv überrascht erzählt, dass wir nur an Orte & durch Gänge geführt wurden, wo gerade niemand war, wir nur unbewohnte Zellen in unbewohnten Häusern ansehen durften und dachte das wäre eine gute Lösung - und auch wenn vmtl. es deutlich besser ist, meinte Maximilian Pollux dann zu mir "Weißt du, man riecht danach dass ihr da wart! Das Parfüm, hautcreme, shampoo… und wenn ihr dann weg seid bleiben wir zurück mit unseren Sehnsüchten nach Freiheit und leben". An sowas denken wir Menschen in Freiheit natürlich gar nicht, aber das hat mich nochmal nachdrücklich beeindruckt...


...und ich bleibe unschlüssig zurück, wie man die Probleme und die bedrückende Atmosphäre des Justizvollzuges mitteilen könnte, vor allem Menschen, die NICHT reflektiert mit diesem Thema umgehen oder gar ein komplettes Studium dazu belegen.


Fragen, (kritische) Kommentare und weitere Themenwünsche zum Gefängnis gerne hier mitteilen :)


 

Text vom 27.06.2023

Kommentar vom 30.12.20203:

In diesem Semester haben ich keine Exkursionen in JVAen organisiert und stattdessen Max Pollux (einer der bekanntesten Ex-Inhaftierten Deutschlands) in unser Seminar eingeladen. Dadurch konnte man natürlich viele der oben beschriebenen Eindrücke über Örtlichkeiten, Bedienstete usw. nicht gewinnen, konnte aber trotzdem eine spannende (sehr subjektive!) Perspektive auf das System bekommen.

 
 
 

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